Kurswechsel für ein solidarisches Europa

Horst Mund

Horst Mund

Das "Projekt Europa" braucht mehr Rückhalt unter den Bürgern. Um das zu errei­chen, ist eine EU not­wen­dig, die nicht nur auf wirt­schaft­li­che Freiheiten setzt, son­dern auch eine soziale Union wird. Das for­dert Horst Mund, Leiter des Bereichs Internationales bei der IG Metall im Interview mit igmetall.de. Die IG Metall betei­ligt sich am euro­pa­wei­ten Aktionstag für "Arbeit und Solidarität".

Der Europäische Gewerkschaftsbund hat für den 14. November zu einem euro­pa­wei­ten Aktionstag für "Arbeit und Solidarität" und gegen die soziale Spaltung von Europa auf­ge­ru­fen. Wie betei­ligt sich die IG Metall daran?
Die IG Metall betei­ligt sich mit ver­schie­de­nen Aktionen an die­sem Tag. Zum Beispiel unter­stüt­zen wir den Aufruf des EGB und DGB zu den ver­schie­den Aktionen. Im gan­zen Bundesgebiet gibt es Veranstaltungen in unter­schied­li­chen Formen. In Stuttgart hat die IG Metall zu einer eige­nen Kundgebung auf­ge­ru­fen. Außerdem hat der Vorstand zum Aktionstag eine Resolution ver­ab­schie­det, die ein kla­res Signal der Solidarität an die süd­eu­ro­päi­schen Länder aus­sen­det, die sich am Aktionstag mit lan­des­wei­ten Protesten und Streikmaßnahmen betei­li­gen. Wir haben auch unsere Mitglieder in den Europäischen Betriebsräten auf den Tag auf­merk­sam gemacht und ihnen vor­ge­schla­gen, an ihre süd­eu­ro­päi­schen Kolleginnen und Kollegen Solidaritätsbotschaften in den jewei­li­gen Landessprachen zu schicken.

Zur Lösung der Krise in Europa setzt die Politik auf rigo­ro­ses Sparen kom­bi­niert mit der Einschränkung von Arbeitnehmerrechten. Kann das der Weg aus der Krise sein?
Die Auswirkungen auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Südeuropa sind ver­hee­rend, die Arbeitslosigkeit, zum Beispiel in Spanien, betrifft mitt­ler­weile jeden vier­ten Erwachsenen und jeden zwei­ten Jugendlichen. Wir sind sehr besorgt über die Situation in Europa, nicht nur was Spanien anbe­langt, auch Portugal, Italien, Griechenland, aber auch Irland und viele mit­tel­ost­eu­ro­päi­sche Länder sind in sehr schwie­ri­gen Situationen. Sparmaßnahmen gibt es im Gesundheitswesen, bei Pflegediensten, bei der Arbeitslosenunterstützung und im Bildungssystem. Dazu kom­men Gehaltssenkungen im öffent­li­chen Dienst, Eingriffe in die Tarifautonomie und eine gesetz­li­che Einschränkung von Arbeitnehmerrechten. Das alles ver­schärft die wirt­schaft­li­che und soziale Situation noch zusätz­lich. Wenn weder der Staat noch seine Bürgerinnen und Bürger Geld aus­ge­ben und inves­tie­ren, wie soll sich die Wirtschaft dann erho­len? Dadurch, dass die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen weni­ger Rechte haben und schnel­ler gekün­digt wer­den kön­nen? Das wagen wir zu bezweifeln.

Was schlägt die IG Metall zur Bewältigung der Krise vor?
Aus den oben genann­ten Gründen for­dern wir die euro­päi­schen Regierungschefs, die EU-Institutionen und ins­be­son­dere die deut­sche Bundesregierung dazu auf, einen Politikwechsel ein­zu­lei­ten. Wir for­dern Maßnahmen zur Aktivierung der Wirtschaft und Schaffung von Beschäftigung. Wir brau­chen ein Wirtschaftsmodell, das auf die ökologisch-soziale Entwicklung eines dyna­mi­schen und leis­tungs­fä­hi­gen Industriesektors in Europa setzt, auf Investitionen in Forschung und Entwicklung, auf ein qua­li­ta­tiv gutes und gerech­tes Bildungssystem sowie auf die unbe­streit­ba­ren Vorteile des sozia­len Dialogs auf Augenhöhe setzt: nur mit star­ken Arbeitnehmervertretern und star­ken Gewerkschaften kön­nen Antworten auf die gesell­schaft­li­chen Megatrends gelin­gen, die auf­grund der Krise gerade zu wenig Beachtung fin­den: wir brau­chen eine euro­päi­sche Industriepolitik, die auf Ressourceneffizienz setzt, den demo­gra­fi­schen Wandel ein­be­zieht und gute Rahmenbedingungen für die Energiewende sowie die Mobilitätsentwicklung schafft. Darüber hin­aus müs­sen die EU-Institutionen grund­le­gend in Richtung poli­ti­sche Union refor­miert wer­den. Zu die­sen Themen hat der IG Metall Vorstand einen Beschluss gefasst, der einen "Kurswechsel für ein soli­da­ri­sches Europa" fordert.

Steht das "Projekt Europa" vor dem Aus?
Das hof­fen wir nicht und davon gehen wir auch nicht aus. Wir müs­sen aller­dings die Sorgen der Menschen ernst neh­men, wenn wir wol­len, dass die EU und das "Projekt Europa" wie­der den Rückhalt der euro­päi­schen Bürger und Bürgerinnen erfährt. Dazu brau­chen wir eine EU, die nicht nur auf wirt­schaft­li­che Freiheiten setzt, son­dern auch eine soziale Union wird. Wir dür­fen nicht zulas­sen, dass Europa mehr und mehr Ablehnung erfährt und der Nationalismus wie­der zunimmt. Die nega­tive Haltung der Menschen wird durch die neo­li­be­rale Politik der Europäischen Kommission und vie­ler Mitgliedsstaaten geför­dert: mitt­ler­weile glaubt die Mehrheit der Deutschen, dass es ihnen per­sön­lich bes­ser gehen würde, wenn es die EU nicht gäbe. Dabei pro­fi­tie­ren gerade die Deutschen von Europa und einer gemein­sa­men Währung.

Für den Aktionstag sind unter ande­rem in Spanien, Griechenland und Portugal Generalstreiks geplant. In Deutschland rufen Gewerkschaften zu Solidaritätsaktionen auf, warum wird nicht auch hier­zu­lande flä­chen­de­ckend gestreikt?
In Deutschland kann man bekann­ter Weise nur im Rahmen einer Tarifauseinandersetzung strei­ken. Das ist gesetz­lich streng gere­gelt. Es geht im Übri­gen aber nicht nur um Solidaritätsaktionen im Zusammenhang mit dem Europäischen Aktionstag. In unse­rer gewerk­schaft­li­chen Arbeit üben wir das ganze Jahr über Solidarität mit den Kolleginnen und Kollegen in Europa. Mit den Europäischen Betriebsräten und den euro­päi­schen Schwestergewerkschaften sind wir im stän­di­gen Austausch, wenn es um gemein­sa­mes Handeln und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen geht. Das pas­siert nicht nur an einem Tag. Das ist unser täg­li­ches Geschäft!

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