Qualitatives Wachstum für gute Arbeit und eine gerechte Gesellschaft

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"Wir brau­chen eine inten­sive Debatte über das, was Wohlstand ist und sein sollte", ver­lan­gen IG Metall und IG BCE in ihrem gemein­sa­men Positionspapier "Qualitatives Wachstum für gute Arbeit und eine gerechte Gesellschaft". Mit ihrem nach wie vor aktu­el­len Positionspapier haben sie im September 2011 einen ers­ten gemein­sa­men Beitrag zum not­wen­di­gen öko­lo­gi­schen und sozia­len Umbau der Gesellschaft aus industrie-gewerkschaftlicher Sicht geleistet.

Ziel von IG Metall und IG BCE ist es, geziel­tes Wachstum zu ermög­li­chen und gleich­zei­tig die nega­ti­ven öko­lo­gi­schen Folgen von Wachstum zu ver­mei­den. Sie nen­nen die­ses Konzept qua­li­ta­ti­ves Wachstum. Dabei geht es sowohl um die öko­lo­gi­sche, als um die soziale und demo­kra­ti­sche Erneuerung der Gesellschaft.

Kurswechsel für qua­li­ta­ti­ves Wachstum als gewerk­schaft­li­che Strategie
Die Autoren kom­men zu dem Schluss: "Wachstum ist kein Dogma, aber es ist not­wen­dig für die Durchsetzung eines guten Lebens für alle." In fünf Punkten umrei­ßen IG Metall und IG BCE den Rahmen für einen Kurswechsel zu qua­li­ta­ti­vem Wachstum:

  1. Primat der Politik
    Ein öko­lo­gi­scher und sozia­ler Umbau erfor­dert starke poli­ti­sche Eingriffe in wirt­schaft­li­che Abläufe. Als Konsequenz aus der noch nicht bewäl­tig­ten Weltwirtschaftskrise sehen wir die Herstellung des Primats der Politik als abso­lute Voraussetzung an. Dabei nimmt die Regulierung der Finanzmärkte eine Schlüsselstellung ein. Finanzmärkte, die von hoch­spe­ku­la­ti­ven Geschäften defor­miert sind, ste­hen im grund­sätz­li­chen Widerspruch zu einer auf Nachhaltigkeit bedach­ten Wirtschaftsweise. Wir brau­chen eine neue Ordnungspolitik, die neben der wirt­schaft­li­chen Rendite eine soziale und eine öko­lo­gi­sche Rendite anstrebt.
  2. Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft
    Die indus­tri­el­len Beziehungen sind in Deutschland geprägt durch starke Betriebsräte, und die Mitbestimmung in Aufsichtsräten der Kapitalgesellschaften. Diese Stärke des deut­schen Wirtschaftsmodells muss auf allen Ebenen (Arbeitsplatz, Betrieb, Branche, in den Ländern und im Bund) aus­ge­baut wer­den. Unser Ziel ist es, eine wei­ter­ge­hende Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft zur Grundlage eines Europäischen Sozialmodells und der inter­na­tio­na­len Ordnung zu machen. Dazu gehört auch eine wirk­li­che Mitsprache bei wesent­li­chen wirt­schaft­li­chen Entscheidungen. Dies ent­hält die Chance, die heu­tige Krise der Demokratie zu über­win­den und die demo­kra­ti­schen Einrichtungen als offe­nen Ort zu erle­ben, in denen über die wirk­li­chen Lebensfragen der Gesellschaft gerun­gen wird.Qualitatives Wachstum ist kein rein tech­ni­sches Vorhaben einer höhe­ren Ressourcen- und Energieeffizienz. Nicht nur im Umgang mit der äuße­ren, son­dern auch mit der mensch­li­chen Natur muss der Arbeitsprozess nach­hal­tig gestal­tet wer­den. Notwendig ist eine Umgestaltung von Arbeitsplätzen, Arbeitsabläufen und Transparenz von Entscheidungen im Sinne Guter Arbeit. Die Entwicklung der indi­vi­du­el­len Fähigkeiten und des Wissens muss ebenso geför­dert wer­den wie die Mitbestimmung am Arbeitsplatz und den Unternehmen erwei­tert wer­den muss. Die Beschäftigten soll­ten eine wirk­li­che Mitverantwortung für die öko­lo­gi­sche Gestaltung von Arbeitsprozessen und Produkten erhal­ten. Nur gestützt auf ein brei­tes Engagement der Menschen in den Betrieben und unter Nutzung ihrer Kompetenzen kann ein sol­cher Prozess der Erneuerung gelingen.Vor dem Hintergrund von anhal­ten­den Leistungsverdichtung, wach­sen­der Produktivität, neuer Formen indus­tri­el­ler Arbeit und den wach­sen­den Aufgaben der Erwerbstätigen in einer altern­den Gesellschaft muss die Frage der Arbeitszeit und ihrer Lage über das ganze Leben hin­weg neu betrach­tet werden.
  3. Nachhaltige Industrie- und Strukturpolitik
    Der indus­tri­elle Sektor ist – jen­seits aller Debatten um eine Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft – nach wie vor die Basis der öko­no­mi­schen Entwicklung unse­rer Gesellschaft. Voraussetzung für qua­li­ta­ti­ves Wachstum ist eine aktive und nach­hal­tige Industriepolitik. Damit ist der Anspruch ver­bun­den, den indus­tri­el­len Sektor zu gestal­ten und sich nicht mit der pas­si­ven Anpassung an einen Wandel der wirt­schaft­li­chen Rahmenbedingungen zu begnügen.Nachhaltig und von qua­li­ta­ti­vem Wachstum geprägt ist indus­tri­elle Entwicklung aus unse­rer Sicht, wenn drei wech­sel­sei­tig mit­ein­an­der ver­bun­dene Ziele erreicht wer­den: Erstens muss die Wirtschaftsweise sozial trag­fä­hig sein. Der struk­tu­relle Wandel bedarf der Mitbestimmung wie der tarif­po­li­ti­schen Gestaltung. Das Entstehen von mehr und vor allem Guter Arbeit kenn­zeich­nen qua­li­ta­tive Wachstumsprozesse. Zweitens kommt es dar­auf an, dass Erzeugnisse, Verfahren und Dienstleistungen öko­lo­gisch ver­träg­lich sind, sich durch einen effi­zi­en­ten und umwelt­scho­nen­den Verbrauch von Ressourcen aus­zeich­nen. Drittens muss die Wirtschaftsweise öko­no­misch effi­zi­ent orga­ni­siert sein.Die Orientierung an einem qua­li­ta­ti­ven Wachstumsmodell wird höchst unter­schied­li­che Folgen für die Branchen und die Regionen haben. Damit ein Über­gang mit mehr und zudem Guter Arbeit gelingt wol­len wir die Kooperation der betei­lig­ten Akteure in und zwi­schen Branchen stär­ken.  Auch aus Gründen der struk­tu­rel­len Veränderung kön­nen neue Formen der bran­chen­be­zo­ge­nen Kooperationen und Mitbestimmungsinstrumente not­wen­dig wer­den. Da es zur Verschiebung von Arbeitsplätzen, in vie­len Fällen auch zu höhe­ren Anforderungen an die Ausbildung der Beschäftigten kom­men wird, legen IG Metall und IG BCE beson­de­ren Wert auf die Verbesserung und den Ausbau der beruf­li­chen Aus- und Weiterbildung.
  4. Gerechte Verteilung
    Nach einer Phase der Umverteilung von unten nach oben sehen IG Metall und IG BCE die Notwendigkeit, Einkommen und Vermögen wie­der brei­ter zu Verteilen. Eine gerechte Verteilung des Wohlstands muss aber auch die Stärkung der Systeme der Sozialen Sicherheit wie der Öffent­li­chen Dienste und ihrer Infrastruktur zum Ziel haben. Eine gerechte und faire Verteilung des mate­ri­el­len Wohlstandes führt zu einer Verbesserung der Lebenschancen aller, ver­rin­gert soziale Konflikte und sichert den sozia­len Frieden.  Empirische Studien (u. a. Richard Wilkinson/ Kate Pickett) zei­gen, dass Gesellschaften mit grö­ße­rer Gleichheit – in der Lebenserwartung, der Chancengleichheit, beim Einkommen, in der Wohlstandswahrnehmung – bes­sere Ergebnisse zei­gen als Gesellschaften mit einer stark unglei­chen Verteilung.Mehr Verteilungsgerechtigkeit muss zunächst mit dem Mitteln der Steuer- und Sozialpolitik erreicht wer­den. Dem Grundsatz der Leistungsfähigkeit muss im Steuerrecht wie­der Rechnung getra­gen wer­den. In der Sozialen Sicherung ist zu gewähr­leis­ten, dass alle Einkommensarten in die Finanzierung ein­zu­be­zie­hen sind. Die Unordnung auf dem Arbeitsmarkt ist zu besei­ti­gen. Die vie­len Ausnahmen vom Arbeitsrecht, Minijobs, Midijobs, befris­tete Beschäftigung ohne Sachgrund, Werkverträge und Leiharbeit ste­hen einer Politik für mehr Lebensqualität und höhe­rem all­ge­mei­nen Wohlstand ebenso ent­ge­gen wie Verlängerungen von Arbeitszeiten.Eine gerech­tere Verteilung von Einkommen und Vermögen führt durch wach­sende Nachfrage zu mehr und ste­ti­gem Wachstum. Dazu gehört natür­lich auch, dass Kosten für den öko­lo­gi­schen Umbau nicht die unters­ten Einkommensgruppen, die Finanzierung des Sozialstaates oder in unver­hält­nis­mä­ßi­ger Weise die inter­na­tio­nale Wettbewerbsfähigkeit deut­scher Unternehmen und Arbeitsplätze belasten.
  5. Ressourceneffizienz, Innovationen und Beschäftigung
    Der Schlüssel zu einem öko­lo­gisch ver­träg­li­chen Wachstum ist Effizienzsteigerung. In vie­len Industriestaaten konnte eine rela­tive Entkoppelung von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum erreicht wer­den. Relative Entkoppelung bedeu­tet, der Ressourcenverbrauch sta­gniert bei stei­gen­der Wirtschaftsleistung. Diese Erfolge rei­chen aller­dings längst noch nicht aus, vor allem wenn die nach­ho­lende Industrialisierung in vie­len Ländern der Erde mit berück­sich­tigt wird. Es muss gelin­gen, den Ressourcenverbrauch abso­lutzu reduzieren.Bisher set­zen die meis­ten Unternehmen dar­auf, die Produktivität der Arbeit zu stei­gern. Dies kann durch den Einsatz moder­ne­rer Maschinen, eine effi­zi­en­tere Arbeitsorganisation oder durch eine höhere Arbeitsintensität – letz­te­res auf Kosten der Beschäftigten – erfol­gen. Der öko­lo­gi­sche Umbau stellt dage­gen eine viel höhere Steigerung der Produktivitäten des Energie- und Materialeinsatzes in den Mittelpunkt. Für IG Metall und IG BCE sind inno­va­ti­ons­för­dernde Rahmenbedingungen zen­trale Voraussetzungen für wei­tere Fortschritte in der Energie- und Materialeffizienz.Die Erneuerbaren Energien sind die tra­gen­den Säulen einer koh­len­stoff­ar­men Energieversorgung der Zukunft. Die Industriestaaten müs­sen bis 2050 ihren CO2-Ausstoß um min­des­tens 80 Prozent im Vergleich zu 1990 sen­ken, das kann nur mit einem Umstieg der Stromerzeugung auf Erneuerbare Energien gelingen.Effizienzsteigerung ist nicht nur aus öko­lo­gi­schen Gründen das Gebot der Stunde. Auch öko­no­misch ist die­ses Ziel für eine durch die Außenwirtschaft geprägte Nation wie Deutschland eine zukunfts­träch­tige Strategie. In den Planungen zur Elektromobilität ist die Effizienzsteigerung gera­dezu Teil des Konzeptes. Öko-Effizienz wird im künf­ti­gen Innovationswettbewerb der Industrieländer eine immer grö­ßere Rolle spie­len. McKinsey schätzt bspw. das Potenzial zusätz­li­cher Arbeitsplätze in Deutschland durch ener­gie­re­le­vante Wachstumsmärkte bis zum Jahr 2020 auf rund 850.000.Für IG Metall und IG BCE sind inno­va­ti­ons­för­dernde Rahmenbedingungen zen­trale Voraussetzungen für wei­tere Verbesserungen in der Energie- und Materialeffizienz. Dazu gehört, eine gesell­schaft­li­che Verständigung über die Chancen und Risiken neuer Technologien. Sie zu nut­zen und offen zu sein gegen­über Wissenschaft und neuen tech­no­lo­gi­schen Entwicklungen ist aus unse­rer Sicht eine Voraussetzung für ein an Innovationen und Wertschöpfung rei­ches Industrielles Netz ebenso wie eine ste­tige soziale und öko­lo­gi­sche Rendite.

Das kom­plette Positionspapier "Qualitatives Wachstum  für gute Arbeit und eine gerechte Gesellschaft" zum Herunterladen.

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