Wachstum ja - die Frage ist nur: wie?

Carlo C. Jaeger

Foto: D. Cavanaugh

Die glo­bale Öko­no­mie wird wei­ter wach­sen. Immer mehr Schwellenländer holen rasant auf. Doch die Wirtschaft muss auch wach­sen, weil die große Mehrheit der Menschen immer noch in Armut lebt und anders die Arbeitslosigkeit nicht bewäl­tigt wer­den kann. Das sagt Professor Carlo Jaeger im Interview. Er ist Vorsitzender des Global Climate Forum.

Herr Professor Jaeger, wie ent­wi­ckelt sich die Wirtschaft im 21. Jahrhundert wei­ter, wenn alles so wei­ter­geht wie bis­her?
Jaeger: Erst die gute Nachricht: Die Zeiten, in denen nur eine kleine Minderheit der Länder - vor­wie­gend in Europa und Nordamerika - wohl­ha­bend ist, sind bald vor­bei. China, aber auch Brasilien, Indien, die Türkei und andere Staaten holen wirt­schaft­lich auf. Die erste schlechte Nachricht: Europa wird wirt­schaft­lich in den nächs­ten zehn Jahren sta­gnie­ren, wozu das Missmanagement der Eurokrise bei­trägt. Wir wer­den stei­gende Arbeitslosigkeit und soziale Ungleichheit erle­ben. Eine ähn­li­che Entwicklung wird sich in den USA voll­zie­hen. Die zweite schlechte Nachricht: Die Welt wird bru­tal häss­li­cher und ungesünder.

Was heißt "häss­lich"?
Jaeger: Wir beto­nie­ren die Landschaften zu und ver­gif­ten sie, roden die Wälder, rot­ten die Fische im Meer aus. Der Klimawandel wird zuneh­men und die Luft schlech­ter  wer­den. Um nur einige Beispiele aufzuzählen.

Ist es rea­lis­tisch, die öko­lo­gi­sche Entwicklung, die Sie skiz­zie­ren, auf­zu­hal­ten oder gar umzu­keh­ren?
Jaeger: Ja, es ist mach­bar, die öko­lo­gi­schen Belastungen in Grenzen zu hal­ten, wenn wir den öko­lo­gi­schen Umbau vor­an­trei­ben. Auf diese Weise kön­nen wir - auch in den sta­gnie­ren­den Volkswirtschaften Europas - mehr Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung errei­chen. Das bedarf aller­dings enor­mer Anstrengungen aller Beteiligten: der Unternehmensleitungen, die ja zum Teil rea­li­siert haben, dass umwelt­freund­li­che Produkte und Technologien Wettbewerbsvorteile ver­schaf­fen. Der Belegschaften, Betriebsräte und Gewerkschaften, die dar­auf drän­gen kön­nen und soll­ten, dass res­sour­cen­scho­nende, umwelt­freund­li­che und sinn­volle Produkte her­ge­stellt wer­den. Und der Politik, die den gan­zen Prozess steu­ern muss. Aber auch die Verbraucher kön­nen diese Umkehr durch ihren Lebensstil befördern.

Zurzeit arbei­tet eine Enquete-Kommission des Bundestags daran, neue Messgrößen zu fin­den, um Wohlstand zu ermit­teln. Sie sol­len das Bruttoinlandsprodukt ablö­sen, das nur das quan­ti­ta­tive Wirtschaftswachstum abbil­det. Was ist für Sie Wohlstand?
Jaeger: Das BIP bleibt ein wich­ti­ger Indikator für Wachstum und Beschäftigung. Aber zum Wohlstand gehört in der Tat mehr: Lebenserwartung, Bildung, intakte Umwelt, poli­ti­sche Teilhabe. Ganz wich­tig blei­ben Arbeit und Einkommen. Aber bei der Arbeit kommt es auch auf die Qualität an: Hält sie gesund? Ermöglicht sie Handlungsspielräume? Autonomie? Leistet man eine Arbeit, die man für sinn­voll hält? Sehr wich­tig ist auch der gesell­schaft­li­che Zusammenhalt. Studien zei­gen, dass die Menschen ihre Lebensqualität und ihr Glücksgefühl stark beein­träch­tigt sehen, wenn in ihrer Gesellschaft große soziale Ungleichheit herrscht.

In der "Öko­szene" wird zur­zeit dar­über gestrit­ten, ob die Umwelt durch Umbau zu ret­ten ist. Einige sagen: die Grenzen des Wachstums sind erreicht. Müssen wir also weni­ger pro­du­zie­ren und kon­su­mie­ren? Oder "nur" anders?
Jaeger: Mit Sicherheit wird die Weltwirtschaft sich in den nächs­ten 5000 Jahren nicht so wei­ter­ent­wi­ckeln wie bis­her. Aber für sol­che Zeiträume pla­nen wir ja nicht, zumal wir sie nicht vor­aus­schauen kön­nen. Ich glaube sogar, dass das Wachstum schon in die­sem Jahrhundert zurück­ge­hen wird. Doch in den nächs­ten Jahrzehnten wird es welt­wirt­schaft­lich ein gro­ßes Wachstum geben. Noch ist das Hauptproblem der Menschheit Arbeitslosigkeit und Armut. Noch braucht der größte Teil der Menschheit Wachstum - und wird das auch durch­set­zen. Darum geht es jetzt im Augenblick darum, die Technologien und Produkte zu ent­wi­ckeln, mit denen das mög­lich ist. Wo sol­len denn die Autos für den glo­bal wach­sen­den Markt ent­wi­ckelt wer­den, die weni­ger CO2 aus­sto­ßen - wenn nicht in den tech­no­lo­gisch füh­ren­den Ländern wie Deutschland?

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