IG Metall will Vorreiter bei der Energiewende sein

Foto: Christian von Polentz

Auch wenn bei der Energiewende noch sehr vie­les schief läuft, sehen Wissenschaftler und Metaller in der Energiewende eine große Chance für die Wirtschaft und die Arbeitnehmer. Die IG Metall will darum Vorreiter sein. Wichtig ist für sie, dass die Jobs, die durch Energiewende ent­ste­hen, gute Arbeit ist und dass die Bürger und Arbeitnehmer an dem ehr­gei­zi­gen Projekt betei­ligt werden.

Wirtschaft und „Wir ste­hen vor einem fun­da­men­ta­len Umbau des gesam­ten Wirtschaftssystems“. So stimmte Eberhard Brandes, Geschäftsführer des WWF (World Wildlife Fund for Nature), die Teilnehmer des Kurswechselkongresses auf die „Architektur der Energiewende“ ein. Brandes hält es für mach­bar, den Ausstoß des Klimakillers C02 bis 2050 um 95 Prozent zu sen­ken. Eine sol­che Umstrukturierung sei mit Ausgaben in Höhe von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts bezahlbar.

Wo ein Weg ist, ist auch ein Wille?
„Es geht. Die Frage ist: Wollen wir es?“ Offenbar ja. Auch wenn Bürger gegen neue Stromtrassen oder Windräder in der Landschaft mobil machen: Die Zustimmung zu einer Energiewende in der Bevölkerung ist sehr hoch. Das zei­gen Umfragen. Auf sie wies Professor Claudia Kemfert im Kongress-Forum „Architektur der Energiewende“ hin. Kemfert ist Energieexpertin im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. 40 Prozent der Investitionen in erneu­er­bare Energie, so die Wissenschaftlerin, stam­men von Privatpersonen oder Genossenschaften. Der Anteil der vier gro­ßen Energiekonzerne liegt nur bei sie­ben Prozent.

Jeder sein eige­ner Stromproduzent
Auch in Zukunft wird der größte Teil der Energie dezen­tral, von Selbstversorgern, pro­du­ziert, pro­gnos­ti­zierte Ronny Meyer, Geschäftsführer der Windagentur Bremen/Bremerhaven. Zum Beispiel von Eigenheimbesitzern, die Solaranlagen auf dem Dach haben. Auch Unternehmen wür­den in Zukunft stär­ker dar­auf set­zen, ihren Strom selbst zu erzeu­gen. Aber alle erneu­er­ba­ren Erzeuger hät­ten Nachteile. Solaranlagen pro­du­zie­ren im Winter zu wenig Strom. „Darum brau­chen wir alle.“ Meyers Job ist es, Offshore-Windenergie zu för­dern. „Wir an der Küste pro­fi­tie­ren vom Wind.“ Nutznießer seien aber auch andere Bundesländer. Bayern und Baden-Württemberg zum Beispiel, weil sie künf­tig mit Strom aus dem Norden belie­fert wer­den sol­len. Aber auch bei den Arbeitsplätzen und der Wertschöpfung sind nicht nur die Küstenregionen die Profiteure. Firmen in Nordrhein-Westfalen gehö­ren dazu und selbst in Bayern hän­gen Arbeitsplätze von Windenergie vor der Küste ab, sagte Meyer. Doch nach­dem die Branche viel inves­tiert und Beschäftigte qua­li­fi­ziert habe, drohe 2013, dass die Produktionskapazitäten „still­ste­hen“, weil Anschlüsse ans Netz fehlen.

Politisches Herumeiern macht viel kaputt
Meyer kri­ti­sierte die Politik, weil sie kei­nen kla­ren Plan für die Energiewende hat und sie nicht kon­se­quent unter­stützt. Angesichts des ewi­gen Hin und Her und der Horrorwarnungen vor dem Kollaps sprän­gen die Firmen ab. „Der Staat muss den Ausbau der Infrastruktur flan­kie­ren, vor allem den Ausbau von Stromspeichern und Netzen“, pflich­tete Johannes Remmel, grü­ner Umweltminister in Nordrhein-Westfalen, ihm bei. Das müsse in den nächs­ten fünf Jahren pas­sie­ren. Die Energiewende könne aber auch nur gelin­gen, „wenn sie eine Gemeinschaftsanstrengung wird, an der alle gesell­schaft­li­chen Gruppen betei­ligt wer­den: Wirtschaft, Umweltverbände, Arbeitnehmer und andere“. Das sei auch wich­tig, damit die Bevölkerung sie akzep­tiert, ergänzte Claudia Kemfert. „Wo die Menschen betei­ligt wer­den, gehen sie mit.“

Millionen neue Stellen
Wenn die Energiewende gelingt, ist das nicht nur gut für den Klimaschutz, son­dern auch für die Wirtschaft und die Arbeitsplätze, die sie bie­ten kann. Daran hat­ten alle Experten im Forum kei­nen Zweifel. Die Energiewende erschließt neue Geschäftsfelder, vor allem bei material- und ener­gie­ef­fi­zi­en­ten Technologien und in der Kreislaufwirtschaft, sprich: beim Produktrecycling. Und sie schafft neue Stellen. Kemfert schätzt, dass allein Umwelttechniken bis 2020 rund zwei Millionen Arbeitsplätze schaf­fen können.

Öko­lo­gisch vorne, aber früh­ka­pi­ta­lis­ti­sche Arbeitsbedingungen
Der Optimismus, den die Wissenschaftler ver­brei­ten, passt aller­dings nicht immer unbe­dingt zu den Erfahrungen, die Beschäftigte hier und heute machen. Das wurde auch im Forum deut­lich. Meinhard Geiken, der Bezirksleiter der IG Metall an der Küste, gab zu beden­ken, dass die Arbeitsbedingungen in der Solar- und Windenergiebranche oft alles andere als gut sind. Sie ähneln mit­un­ter eher denen der fer­nen Vergangenheit des Frühkapitalismus als dem, was Menschen sich unter Zukunftsarbeitsplätzen vor­stel­len. Schlechte Löhne, lange Arbeitszeiten, Behinderung von Betriebsräten sind gang und gäbe. „Die Kollegen in den Kernkraftwerken sagen: Warum sol­len wir zu den Erneuerbaren wech­seln? Hier haben wir gute Arbeitsbedingungen, dort nicht.“

Arbeitsverlust statt Zukunftsjobs
In der Solarindustrie kommt Angst vor Arbeitsplatzverlust dazu. „Eine Reihe von Firmen sind insol­vent, viele Kollegen haben ihre Arbeit ver­lo­ren.“ Darauf wies Harald Frick hin, der Konzernbetriebsratsvorsitzende der Solarfirma Conergy. Der deut­sche Markt sei für die Solarbranche „abge­grast“. Und auf dem inter­na­tio­na­len Markt sorge China mit nied­ri­gen Produktionskosten für einen rui­nö­sen Wettbewerb, in dem die deut­schen Firmen nur ver­lie­ren können.

Vorreiter sein lohnt sich
„Die Solarbranche ist ein Beispiel dafür, wie Chancen ver­spielt wor­den sind“, sagte Detlef Wetzel, der Zweite Vorsitzende der IG Metall. Um aus Fehlentwicklungen zu ler­nen, for­derte er eine Plattform Energiewende, in der Wirtschaft, Arbeitnehmer, Wissenschaftler und Politiker gemein­sam nach Wegen suchen, um die Umstrukturierung im Interesse des Umweltschutzes, der Wirtschaft und der Arbeitnehmer zu gestal­ten. Denn trotz alle­dem lohne es sich, bei der Energiewende Vorreiter zu sein. Die IG Metall will darum jetzt 1000 Betriebsräte zu Energieexperten aus­bil­den, um die Energiewende auch in der betrieb­li­chen Praxis voranzutreiben.

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