Zu Wasser, zu Land, in der Luft

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Handelswege und Schiffsstraßen bil­den seit jeher die Lebensadern der Wirtschaft. Daran hat sich im 21. Jahrhundert nicht viel geän­dert. Nur die Entfernungen sind grö­ßer gewor­den. Doch die Mobilität stößt an öko­lo­gi­sche Grenzen. Sie las­sen sich nur mit alter­na­ti­ven Techniken und Ideen über­win­den. Die Verkehrsindustrie muss sich auf den Weg in die Zukunft machen.

Die Zukunft beginnt mit Handarbeit: In den end­lo­sen Tiefen des Volkswagen-Werks in Kassel, hin­ter einer Glastür, die nur Befugte hin­ein­lässt und Kameras streng ver­bie­tet. Hier rol­len Teile nicht im Sekundentakt vom Band. Hier wer­den Drahtbündel von Hand ver­floch­ten, mit Isolierband umwi­ckelt und ver­kno­tet. Jedes Stück ein­ma­lig. Die Arbeit erin­nert an vor­in­dus­tri­elle Zeiten, das Ergebnis soll das Auto der Zukunft antrei­ben. Es ist der Prototyp eines Elektroantriebs, mit dem VW im nächs­ten Jahr sei­nen E-Up und sei­nen E-Golf auf den Markt brin­gen will. Wer in Zukunft beim Geschäft mit der Mobilität dabei sein will, muss mehr kön­nen als viel PS. Nicht nur in der Autoindustrie. Im Schiffsbau, in der Luftfahrtindustrie, bei den Nutzfahrzeugbauern - über­all tüf­teln Spezialisten an moder­nen Antrieben, expe­ri­men­tie­ren mit Wind- und Sonnenkraft und tes­ten leichte Materialien. In der Zukunft sol­len Flugzeuge, Schiffe, Laster, Autos oder Züge Menschen und Waren min­des­tens genauso schnell und bequem wie heute von einem Ort zum ande­ren brin­gen. Nur stin­ken sol­len sie nicht mehr und weni­ger Lärm machen.

Schnecke braucht Turbo
Von die­sem Kunststück hängt nicht weni­ger als die Zukunft der moder­nen Gesellschaft ab. Klimawandel, schwin­dende Öl- und Gasvorkommen, ver­stopfte Straßen und Luftwege wei­sen die gren­zen­lose Mobilität immer mehr in Schranken. Auf der einen Seite ist Wirtschaft ohne Verkehr nicht denk­bar. Auf der ande­ren Seite bedroht der Klimawandel das Über­le­ben vie­ler Menschen und ist bereits jetzt kaum noch auf­zu­hal­ten. Zu lange hat sich die Staatengemeinschaft davor gedrückt, den Ausstoß von Treibhausgasen ernst­haft zu ver­rin­gern. Vor fast genau 20 Jahren traf sich die Welt zum ers­ten Klimagipfel in Rio. Viel pas­siert ist seit­her nicht. Das Zwei-Grad-Ziel war ein beschei­de­nes Ziel. Wissenschaftler haben es fast auf­ge­ge­ben. 2011 erreichte der welt­weite Ausstoß des Klimakillers CO2 mit 31,6 Milliarden Tonnen einen neuen Rekord. Der Fortschritt ist eine Schnecke. Doch wenn sie beim Klimaschutz nicht bald den Turbo ein­schal­tet, könnte die Erde sich unum­kehr­bar auf­hei­zen. Der Verkehr ist nicht der ein­zige Klimafeind. Aber einer der Schlimmeren. Während in den 27 EU-Staaten zwi­schen 1990 und 2007 der Treibhausgasausstoß bei fast allen Verursachern, wie Haushalten und Industrie, zurück­ging, nahm er beim Verkehr um 25 Prozent zu. Die Zahlen spre­chen eine deut­li­che Sprache: Ohne sau­be­ren Verkehr bekommt die Welt das CO2-Problem nicht in den Griff.

Ambitionierte Ziele
Die Botschaft ist ange­kom­men. Auf dem Papier hat sich die EU eini­ges vor­ge­nom­men. In ihrem Weißbuch "Verkehr" for­mu­liert sie zehn Ziele für eine euro­päi­sche Verkehrspolitik. Unter ande­rem sol­len 2050 in euro­päi­schen Städten keine Fahrzeuge mehr mit fos­si­len Brennstoffen fah­ren. Das euro­päi­sche Hochgeschwindigkeitsnetz wird aus­ge­baut und Flug- und Seehäfenwerden an das Schienennetz ange­schlos­sen. Damit will die EU bis 2050 den CO2-Ausstoß des Verkehrs um 60 Prozent sen­ken und Europa unab­hän­gi­ger vom Öl machen. Jürgen Kerner fin­det die Ziele der EU ambi­tio­niert. Allerdings ver­misst das geschäfts­füh­rende Vorstandsmitglied der IG Metall einen wich­ti­gen Punkt: die Beschäftigten der Verkehrsindustrie. "Aus dem Weißbuch spricht die übli­che Politik in Europa. Wettbewerb und Privatisierung haben Vorrang. Zusammenhänge mit der Verkehrsindustrie tau­chen nicht auf. Die Beschäftigten kom­men nicht vor. Ihre Gewerkschaften nur als Störer des freien Marktes."

Tatsächlich beschäf­tigt sich das Weißbuch nur an einer Stelle mit Gewerkschaften. Die EU will sie ermu­ti­gen, Konflikte zu ver­mei­den. "Der EU ist es schein­bar egal, wo die Technik der Zukunft gebaut wird", kri­ti­siert Kerner. "Uns nicht." In Deutschland arbei­ten 846 000 Menschen in der Verkehrsindustrie. Mehr als 700 000 bei den Autoherstellern und ihren Zulieferern. Bahn- und Luftfahrtindustrie sind im Vergleich dazu klein, aber nicht weni­ger wich­tig. Die Beschäftigung in der Bahnindustrie wuchs im ver­gan­ge­nen Jahr um sie­ben Prozent. Auch die Luftfahrt zählt zu den Wachstumsbranchen. Hinzu kom­men Arbeitsplätze, die indi­rekt von der Verkehrsbranche abhän­gen, im Maschinenbau, in der Textilindustrie oder in Gießereien.

Umwelt wird Verkaufsschlager
Was die EU als große Vision ver­kauft, ist für Betriebsrat Thomas Gelder von der Meyer-Werft in Papenburg nicht neu. Ihm ist klar: "Wenn wir auf sin­kende Energiepreise hof­fen, kön­nen wir lan­ge­war­ten." Große Tanker fah­ren mit Schweröl, das mehr Schmutz in die Luft bläst als Diesel. Naturschützern sind auch Kreuzfahrtschiffe ein Dorn im Auge. Gelder kennt die Kritik. Die Laune ver­miest sie ihm nicht. "Kreuzfahrtschiffe sto­ßen im Verhältnis weni­ger Schadstoffe aus als Containerschiffe. Und wir ver­bes­sern sie wei­ter." Die Entwickler set­zen auf Gasmotoren und soge­nannte "Scrubber", die wie Katalysatoren arbei­ten. Auch bei ande­ren Energiefressern an Bord wie Klimaanlagen suchen die Hersteller nach spar­sa­mer Technik und umwelt­freund­li­chen Energiequellen. Getrieben wird der Fortschritt von Energiepreisen und poli­ti­schen Beschränkungen: In soge­nann­ten Control-Areas dür­fen nur Schiffe fah­ren, die bestimmte Emissionsgrenzen ein­hal­ten. "Wenn wir beim Umweltschutz vor­an­kom­men, sehe ich einen gro­ßen Wettbewerbsvorteil für uns", sagt Gelder. "In China haben Reeder zwar bil­lig ein­ge­kauft. Aber sie haben Technik von ges­tern bekom­men. Der Umweltaspekt kann ein Verkaufsschlager werden."

An ihrer Umweltbilanz arbei­tet auch die Luftfahrtindustrie. Im Vergleich schnei­det das Flugzeug schlech­ter ab als das Schiff. Die Branche ist sich des­sen bewusst und hat sich selbst Umweltziele gesteckt: Bis 2020 sol­len Flugzeuge nur noch die­Hälfte des Kraftstoffs ver­brau­chen und halb soviel Treibhausgase aus­sto­ßen. Technisch soll das vor allem über ver­bes­serte Triebwerke, alter­na­tive Treibstoffe wie Bio-Kerosin und den Leichtbau gelin­gen. Auch in der Luftfahrt sehen Betriebsräte wie Thomas Busch von Aerotec den Umweltschutz als Chance. In der Forschung ist die Nachfrage nach Fachkräften groß. Beim Leichtbau kon­kur­rie­ren Flugzeugbauer und Autohersteller um die bes­ten Spezialisten. "Will die Luftfahrt ihre Ziele errei­chen, muss sie ihre Flotten erneu­ern. Da war­tet viel Arbeit", sagt Busch.

Auf der Suche nach der Mobilität der Zukunft ent­de­cken Entwickler auch alte Techniken neu. Flugzeuge könn­ten den Aufwind nut­zen. Für Schiffe wird mit Rotoren expe­ri­men­tiert, in denen sich der Wind fängt. In der Autoindustrie erlebt der Elektromotor nach fast 100 Jahren ein Comeback. Eine Millionen Elektroautos auf deut­schen Straßen bis 2020, lau­tet das Ziel. Die "Nationale Plattform Elektromobilität", an der auch die IG Metall betei­ligt ist, hatte dazu letz­tes Jahr Vorschläge gemacht. Von den Plänen elek­tri­siert, brei­tete sich Euphorie aus. Vier Regionen wur­den für Schaufensterprojekte aus­ge­wählt. Sie erhal­ten Fördergelder.

Neue Techniken - neue Qualifikationen
Von dem Rückenwind des ver­gan­ge­nen Jahres spürt Jürgen Stumpf heute weni­ger. "Die Euphorie hat sich bis­her nicht in Bestellungen nie­der­ge­schla­gen", sagt der Betriebsratsvorsitzende bei VW in Kassel. Zwar bleibt das Unternehmen bei der Elektromobilität am Ball: In Kassel geht der Antrieb für den E-Up und den E-Golf nächs­tes Jahr in Serie. Aber bei den Stückzahlen sind die Erwartungen inzwi­schen gedämpf­ter. "Neben dem Elektromotor gewin­nen Über­gangs­tech­no­lo­gien wie der Hybrid an Bedeutung."

Für Nutzfahrzeugbauer ohne­hin die wich­tigste Alternative. Laster und Busse wer­den in auch abseh­ba­rer Zeit nicht mit rei­nen Elektromotoren fah­ren. Deshalb set­zen sie auf spar­same Diesel- und Hybrid-Motoren. Dabei sieht MAN-Betriebsratsvorsitzender Jürgen Dorn Umwelt und Beschäftigte: "Unterm Strich bleibt die Zahl der Arbeitsplätze viel­leicht gleich. Aber wir wol­len, dass die neuen Arbeitsplätze auch bei uns ent­ste­hen." Neue Techniken ver­lan­gen neue Qualifikationen. Wer mit einem Hybrid arbei­tet, braucht eine Starkstromzulassung, erklärt Dorn. "Deshalb müs­sen wir Beschäftigte recht­zei­tig weiterbilden."

Im Gegensatz zu ande­ren Verkehrsmitteln lei­det die Bahn nicht unter einem schlech­ten Umweltimage. Laut Weißbuch will die EU 50 Prozent des Personen- und Güterverkehrs über 300 Kilometer bis 2050 auf Schiene und Schiff ver­la­gern. Die Botschaft hat Johannes Hauber gehört, allein er glaubt sie nicht recht. Der Vorsitzende des Europäischen Betriebsrats bei Bombardier muss nicht nach­schauen, um seine Skepsis zu begrün­den. Er hat die wich­ti­gen Zahlen im Kopf. "Seit 2001 wer­den in Europa jähr­lich 500 Kilometer Schiene abge­baut und 1400 Kilometer Straße hin­zu­ge­baut." Das Auto ist nach wie vor die Nummer eins.

Skeptisch sieht Hauber auch die EU-Pläne, nur auf Hochgeschwindigkeitsstrecken zu set­zen. "Schienenverkehr in der Fläche exis­tiert im Weißbuch nicht. Ein Fahrplan, der Verbindungen auf­ein­an­der abstimmt, fehlt." Eine Politik, die Hauber von der deut­schen Bahn kennt. "Große Investitionen flie­ßen in Prestigeobjekte. Nur sel­ten fällt etwas für regio­nale Projekte ab." Die Bahn könnte an vie­len Stellen inves­tie­ren, ins Schienennetz oder in lei­sere Güterzüge. Der regio­nale Ausbau des Schienenverkehrs würde viele qua­li­fi­zierte Arbeitsplätze brin­gen. In der Bahnindustrie arbei­ten nicht nur viele Ingenieure. Auch Facharbeiter wer­den in der arbeits­in­ten­si­ven Produktion gebraucht.

Das Geschäft Mobilität
Elektromotor oder Hybrid? Nicht die ein­zige Frage, vor der Hersteller ste­hen. Viele Metropolen außer­halb Europas ste­hen schon heute vor dem Verkehrskollaps. Wenn sich die deut­schen Hersteller auf die­sen Märkten hal­ten wol­len, müs­sen sie mehr bie­ten. In Zukunft wol­len Menschen Fahrzeuge nicht immer besit­zen, aber nut­zen. Die Frage lau­tet: Wer wird ihnen diese Mobilität ver­kau­fen? Die Bahn, die Autohersteller oder Google? Erste Versuche gibt es. Mit "Car2go" bie­tet Daimler seit 2008 Großstadtbewohnern Mobilität auf Abruf an. VW will nicht nur Elektroautos bauen, son­dern auch grü­nen Stromdazu anbie­ten. In den nächs­ten fünf Jahren will Volkswagen 660 Millionen Euro in erneu­er­bare Energie inves­tie­ren. Nicht nur die Produkte, auch die Produktion soll grü­ner werden.

Für Jürgen Kerner vom IG Metall-Vorstand ist das Fenster noch offen, um der Verkehrsindustrie und den Beschäftigten die Pole-Position zu sichern. "Aber wir müs­sen uns jetzt auf den Weg machen zu einer bran­chen­über­grei­fen­den Industriepolitik im Verkehrssektor. Der Wandel wird kom­men. Wir ent­schei­den, ob wir ihn trei­ben oder er uns."

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