"Eurofound fügt Arbeit und Leben in Europa zu einem Gesamtbild zusammen"

Erika Mezger

Erika Mezger. Foto: Eurofound

Erika Mezger arbei­tet für Eurofound. Sie ist dort stell­ver­tre­tende Direktorin. Im Interview erklärt sie, was die Aufgaben von Eurofound sind und wel­che Trends zum Thema Arbeit und Leben zur­zeit zu beob­ach­ten sind.

Was ist die Aufgabe von Eurofound?
Erika Mezger: Die offi­zi­elle Bezeichnung lau­tet ja „Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen“. Wir arbei­ten also im Auftrag der EU, die uns auch das Budget zur Verfügung stellt. Es geht darum, Daten und Fakten aus der Arbeits- und Lebenswelt, den indus­tri­el­len Beziehungen und dem sozia­len Dialog zu sam­meln und aus­zu­wer­ten. Basierend auf unse­ren Surveys und Observatories – also Studien, Beobachtungen und Umfragen – ver­su­chen wir auch, sich ent­wi­ckelnde Trends zu anti­zi­pie­ren und als „Frühwarnsystem“ zu fun­gie­ren.

Wie kommt Eurofound an diese Daten?

Mezger: Eurofound ist eine wis­sen­schafts­ba­sierte euro­päi­sche Agentur, die Eigenforschung und die Vergabe von Forschungsprojekten ver­bin­det. Wir koope­rie­ren mit vie­len euro­päi­schen und natio­na­len wis­sen­schaft­li­chen Einrichtungen. Eurofound unter­hält ein Netzwerk von Beobachtungsstellen in Europa, um zuver­läs­sige und aktu­elle Nachrichten und ver­gleich­bare Informationen über die Arbeitsbeziehungen und Antriebsfaktoren für den Wandel in den Mitgliedstaaten, den Beitritts- und Kandidatenländern und Norwegen vor­zu­le­gen. In Deutschland zum Beispiel sind unsere wis­sen­schaft­li­chen Korrespondenten das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf und das Institut der deut­schen Wirtschaft (IW) in Köln, die uns mit aktu­el­len Daten und Trends versorgen.

Welche Trends beob­ach­tet Eurofound der­zeit? Wie ver­än­dert sich Arbeit in Europa?
Mezger: Unsere Surveys und Observatories ermit­teln län­der­spe­zi­fi­sche und sek­tor­be­zo­gene Beschäftigungstrends. Neben der Analyse der Trends bei den Beschäftigungsquoten unter­suchte Eurofound, ob bestimmte Arten von Arbeitsplätzen über­pro­por­tio­nal von der Rezession betrof­fen waren oder von ihr ver­schont wur­den. Die am bes­ten bezahl­ten Tätigkeiten hiel­ten den Auswirkungen der Rezession stand und die Beschäftigung nahm in die­ser Kategorie sogar zu. In allen ande­ren Vergütungskategorien ging die Beschäftigung jedoch zurück, beson­ders in der mitt­le­ren und der mitt­le­ren bis unte­ren Vergütungskategorie. In Bezug auf die Veränderungen waren in den Mitgliedsländern drei Hauptmuster zu erkennen:

  • Upgrading, wobei sich die Beschäftigungszunahme auf das obere Ende der Lohn- und Gehaltsskala ver­la­gert – fest­ge­stellt in Deutschland, Luxemburg, Schweden und der Slowakei.
  • Polarisierung, mit Zunahmen an den obe­ren und unte­ren Enden des Lohn- und Gehaltsspektrums, aber Schrumpfung in der Mitte – fest­ge­stellt in Bulgarien, Zypern, Frankreich, Griechenland, Irland, Lettland, Portugal, Slowenien und dem Vereinigten Königreich.
  • Downgrading, mit grö­ße­ren Arbeitsplatzverlusten im höhe­ren Lohn- und Gehaltssegment, wäh­rend die Beschäftigung im nied­ri­gen Lohnbereich ent­we­der zunahm oder nur gering­fü­gig zurück­ging – fest­ge­stellt in Dänemark, der Tschechischen Republik, Ungarn, Italien und Litauen.

Die fünfte Welle des Europäischen Surveys zu Arbeitsbedingungen (EWCS 2010) zeigt, dass sich die Qualität der Arbeit in den letz­ten Jahren nicht ver­bes­sert hat. Zwar ist euro­pa­weit die durch­schnitt­li­che Arbeitszeit gesun­ken, dafür sind Arbeitsintensität und psy­chi­scher Druck gestie­gen. Weder in Sachen Autonomie am Arbeitsplatz noch bei den Chancen, sich wei­ter zu qua­li­fi­zie­ren, gab es in den letz­ten zehn Jahren ent­schei­dende Fortschritte. Europaweit ist zudem die Zahl der befris­tet ein­ge­stell­ten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewach­sen. Es wird immer schwie­ri­ger, zwi­schen Solo-Selbstständigen und abhän­gig Beschäftigten zu unter­schei­den. Auch die Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter sind „begrenzt“. Die geschlechts­spe­zi­fi­sche Teilung des Arbeitsmarktes hat sich kaum ver­än­dert. Immerhin neh­men zumin­dest in den weib­lich domi­nier­ten Branchen Frauen häu­fig Führungspositionen ein. Und fast ein Fünftel der Erwerbstätigen, mehr als im Jahr 2000, hat große Schwierigkeiten, Job und Privatleben zu ver­ein­ba­ren. Insgesamt ist die ehe­mals hohe Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen leicht zurückgegangen.

Auf dem Kurswechsel-Kongress wird es um viele Themen gehen. Wo sehen Sie per­sön­lich den drin­gends­ten Handlungsbedarf?
Mezger: Die größte Herausforderung besteht darin, die Arbeit nach­hal­tig und auf qua­li­ta­tiv hohem Niveau zu gestal­ten und zu hal­ten. Die Diskussionen über ältere Arbeitnehmer wer­fen unwei­ger­lich die Frage auf, ob Arbeitnehmer die­selbe Arbeit auch noch im Alter aus­üben kön­nen. Die Meinungen der Arbeitnehmer drif­ten in der EU dabei weit aus­ein­an­der: 70% der Arbeitnehmer in den Niederlanden glau­ben, sie kön­nen ihren jet­zi­gen Beruf auch noch mit 60 aus­üben, in Slowenien glau­ben das nur 26%. Die Ansichten unter­schei­den sich auch nach Berufsfeld deut­lich. Bei hoch­qua­li­fi­zier­ten, nicht­ma­nu­el­len Tätigkeiten sind die Arbeitnehmer dies­be­züg­lich zuver­sicht­li­cher als gering qua­li­fi­zierte manu­elle Arbeiter. Bei Menschen, die am Arbeitsplatz im hohen Maße ergo­no­mi­schen oder psy­cho­so­zia­len Risiken aus­ge­setzt sind, wird davon aus­ge­gan­gen, dass sie ihren Beruf mit 60 eher nicht mehr aus­üben wer­den. Die größte arbeits- und gesell­schafts­po­li­ti­sche Herausforderung besteht darin, für die „nach­hal­tige Qualität der Arbeit“ und die „nach­hal­tige Qualität der Arbeitsplätze“ kon­zep­tio­nell unter­füt­tert zu arbei­ten. Genau dies wer­den wir in den nächs­ten Jahren tun.

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