Lebenschancen und Verteilungsgerechtigkeit

Foto: Christian von Polentz

Mehr als die Hälfte jun­ger ein­kom­mens­schwa­cher Menschen sehen keine Chance für einen sozia­len Aufstieg. Das hat im November 2012 das Allensbach-Institut her­aus­ge­fun­den. Hoffnung und Zuversicht signa­li­siert eine sol­che Aussage nicht. Dieses Umfrageergebnis zeigt hin­ge­gen, wie dra­ma­tisch schlecht junge Menschen ihre Zukunft ein­schät­zen. Das ist nur eine der Folgen der Einkommensentwicklung in Deutschland. Verteilungsgerechtigkeit und Lebenschancen waren ein Thema auf dem IG Metall-Kongress.

Die Schere zwi­schen Arm und Reich schließt sich wie­der, das mel­dete vor weni­gen Tagen das DIW. Doch diese posi­tive Meldung muss in Kürze wie­der rela­ti­viert wer­den. Denn tat­säch­lich sind die Unterschiede zwi­schen oben und unten, zwi­schen arm und reich im letz­ten Jahrzehnt grö­ßer geworden.

Über die Auswirkungen die­ser Entwicklung dis­ku­tier­ten in dem Forum "Lebenschancen und Verteilungsgerechtigkeit" Michael Hartmann von der Technischen Universität Darmstadt, Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Jürgen Kädtler vom Sofi in Göttingen und Noel Whiteside, Universität of Warwick, Großbritannien.

Hohe Armutsquote in Großstädten
In den gro­ßen Städten sind die Unterschiede beson­ders dra­ma­tisch. Dort gibt es eine mas­sive Polarisierung zwi­schen den ver­schie­de­nen Einkommensgruppen. Zwischen 20 und 25 Prozent liegt die Armutsquote in Städten mit mehr als 300 000 Einwohnern. Hier sieht man auch deut­lich die Auswirkungen die­ses Verdrängungsprozesses. Niedrigere und mitt­lere Einkommen wer­den an den Rand – in unat­trak­tive Stadtviertel – abge­drängt. Doch nicht nur die Wohnsituation unter­schei­det sich von der Situation der Besserverdienenden. Die Folgen die­ser Einkommensentwicklung wir­ken sich auf alle Lebensbereiche aus, stellt Michael Hartmann fest.

Die sozia­len Ängste wach­sen, die Gesundheitsrisiken stei­gen, Menschen wer­den aus­ge­grenzt und die Politikverdrossenheit nimmt zu. Dass die Situation dra­ma­tisch ist, zeigt auch das Ergebnis einer Allensbach-Umfrage. Danach hal­ten mit 55 Prozent mehr als die Hälfte der unter 30-jährigen ein­kom­mens­schwa­chen Deutschen einen Aufstieg aus einer ein­fa­chen sozia­len Schicht nur für sehr schwer mög­lich. Durch per­sön­li­che Anstrengungen in der Regel wei­ter zu kom­men, davon sind sogar nur 19 Prozent über­zeugt. Allein das Elternhaus ent­scheide dar­über, ob man wei­ter­komme. Dieses ernüch­ternde Ergebnis zeigt: Um Chancengleichheit her­zu­stel­len, müs­sen nicht nur die Einkommens-, son­dern auch die Bildungs- und die Lebensverhältnisse ange­gli­chen werden.

"Die am bes­ten aus­ge­stat­te­ten Schulen gehö­ren in die Problemviertel" for­derte der Soziologe Jürgen Kädtler. Dann wür­den sich auch die Voraussetzungen und Qualifikationen, mit der Schüler in die Ausbildung gehen, ver­bes­sern. Dann wür­den die Schüler aus den Problemvierteln auch nicht aus­ge­grenzt wer­den, so wie es heut­zu­tage der Fall ist. Für eine Verbesserung der Chancen müs­sen die Menschen in der Lage sein, ihr Leben auch tat­säch­lich selbst bestim­men und gestal­ten zu können.

Die deut­sche Lohnpolitik hat die Krise ange­kur­belt
Für Gustav Horn hat Deutschland bereits zu Beginn der Krise die fal­schen Weichen gestellt. Statt Griechenland Solidarität zu signa­li­sie­ren, hat man Sparprogramme von den Griechen gefor­dert. Für Horn hat die deut­sche Lohnpolitik die Krise beför­dert. Denn statt die Binnennachfrage hier­zu­lande mit höhe­ren Löhnen anzu­kur­beln, hat man einen Sparkurs ein­ge­schla­gen. Die Arbeitnehmer haben ver­zich­tet, weni­ger kon­su­miert. Nun bre­chen die Exporte ein, vor allem in die süd­eu­ro­päi­schen Länder, die nun deut­lich weni­ger deut­sche Waren abneh­men können.

Diese Entwicklung wirkt sich auch auf die sozia­len Sicherungssysteme aus. Noelle Whiteside macht das am Beispiel der Alterssicherung in Großbritannien, dem Mutterland des Neoliberalismus, deut­lich. Dort wer­den die Rentenansprüche der Menschen immer unsi­che­rer. Besonders Frauen sind häu­fig – wie auch in Deutschland – nicht durch­gän­gig voll­zeit­be­schäf­tigt und müs­sen große Einschnitte bei ihrer Rente hin­neh­men. "Unsicherheit unter­höhlt das Handeln", stellt Noel Whiteside fest und for­dert sichere und gute Regeln um Handeln zu können.

Was pas­sie­ren muss, damit es bes­ser wird
Mindestlöhne, Anerkennung all­ge­mein­ver­bind­li­cher Tarifverträge, Verbot von gel­ben Gewerkschaften und eine öffent­li­che Förderung von Unternehmen, die Arbeitsplätze schaf­fen statt zu strei­chen – das wären nach Auffassung von Helga Schwitzer, geschäfts­füh­ren­des Vorstandsmitglied Schritte in die rich­tige Richtung. Dazu gehöre auch ein Bonus- und Malussystem für Unternehmen, das hono­riert bezie­hungs­weise bestraft, wenn die Arbeitszeit ver­kürzt oder ver­län­gert und gerechte bezie­hungs­weise unge­rechte Löhne gezahlt werden.

Zum Weiterlesen

Prof. Dr. Gustav A. Horn: Folienbeitrag "Ungleichheit und Lebenschancen" [...mehr]
Jürgen Kädtler: Folienbeitrag "Verteilungsfragen als Teilhabefragen" [...mehr]
Folienbeitrag: "Forum 11 - Lebenschancen und Verteilungsgerechtigkeit / Life Opportunities and Fair Distribution" [...mehr]

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