Wie viel Ungleichheit verträgt die Demokratie?

Stetig sin­kende Wahlbeteiligung bei gleich­zei­tig stei­gen­der Politikverdrossenheit las­sen ver­mu­ten: Auch die Demokratie steckt in einer Krise. Sie lebt davon, dass sich die Bürger betei­li­gen. Tun sie es nicht, gewin­nen eli­täre Interessen die Oberhand.

Auch der von der IG Metall ange­strebte „Kurswechsel für ein gutes Leben“ kann nur funk­tio­nie­ren, wenn sich die Menschen betei­li­gen und ein­brin­gen, so die ein­hel­lige Meinung der Experten. „Wie also kann es uns gelin­gen, die nöti­gen Voraussetzungen zu schaf­fen?“, lau­tete die ein­lei­tende Frage des Forums „Revitalisierung der Demokratie“.

Problem der sozia­len Selektion

Es gibt kein gol­de­nes Zeitalter der Demokratie“, gab Wolfgang Merkel vom Wissenschaftszentrum Berlin und der Humboldt Universität Berlin zu beden­ken. Daher sei es auch ein Irrglaube, dass es um die Demokratie der­zeit wesent­lich schlech­ter bestellt ist, als in den ver­gan­ge­nen Jahrzehnten. „Was hät­ten Ihnen wohl die Frauen in den 60er auf diese Frage geantwortet?“

Jedoch gibt es Merkel zufolge ein deut­li­ches Problem mit unglei­cher Partizipation. Denn es ist zu beob­ach­ten, dass die unte­ren Schichten immer weni­ger an demo­kra­ti­schen Entscheidungen betei­ligt sind und „aus­stei­gen“. Das führt unter den Wählern zu einer „sozia­len Selektion“, warnte Merkel. Die Wahlbeteiligung der Haushalte, die über ein Einkommen zwi­schen 1000 und 2500 Euro ver­fü­gen, ist in den ver­gan­gen zehn Jahren beson­ders stark abgerutscht.

Auch die in letz­ter Zeit ver­mehrt ent­ste­hen­den klei­nen Bürgerinitiativen könn­ten diese Tatsache nicht wider­le­gen. Denn Menschen, die bei­spiels­weise gegen Stuttgart 21 auf die Straße gehen, seien in der Regel jenes Bürgertum, das sei­ner Stimme bei poli­ti­schen Entscheidungen auch sonst Gehör verschafft.

Das zweite Problem ist, dass nicht legi­ti­mierte Akteure mit­re­gie­ren“, sagte Merkel. Also bei­spiels­weise Organisationen, die die neo­li­be­ra­len Interessen der Märkte ver­fol­gen. Und das sei ein gro­ßes Problem. Es kommt in der Demokratie also zu einer Verschiebung. „Die Frage ist, wie viel Ungleichheit kann die Demokratie vertragen?“

Mehr Social Media für die Gewerkschaftsarbeit

Die Probleme der Arbeit schla­gen in die Familien der Betroffenen durch, gab Colin Crouch von der University of Warwick zu beden­ken. Gleichzeitig ist der Trend einer Entpolitisierung der Arbeit zu beob­ach­ten, was sich unter ande­rem in den sin­ken­den Mitgliederzahlen der Gewerkschaften fast aller Industrieländer wider­spie­gelt. Die IG Metall ist da eine ein­same Ausnahme. Mitgliederrekrutierung und poli­ti­sche Reichweite soll­ten daher glei­cher­ma­ßen in den Fokus rücken. „Vielleicht müs­sen die Gewerkschaften ler­nen, Social Media bes­ser zu nut­zen“, sagte Crouch. Denn dort sind die jun­gen Leute, die es abzu­ho­len gilt.

Die Bindung zu den Unternehmen ist oft nicht so groß“, sagte Crouch. Da immer mehr Menschen pre­kär beschäf­tigt und junge Leute auch mobi­ler sind als frü­her, müss­ten Gewerkschaften dar­über nach­den­ken, sich wie­der mehr auf Gemeindeebene zu orga­ni­sie­ren. „Die Revitalisierung der Demokratie hängt stark von der Revitalisierung der Gewerkschaften ab“, sagte Crouch, der 2004 durch sein Buch „Postdemokratie“ berühmt wurde und die Meinung ver­tritt, dass die Demokratie schwä­cher und der Kapitalismus stär­ker wird.

Profil der Gewerkschaften schärfen

Wir brau­chen eine Erziehung zur Mündigkeit, nicht eine danach, wie sich die Menschen am bes­ten ver­wer­ten las­sen“, lau­tete eine der Forderungen, die im abschlie­ßen­den Gespräch laut wurde. Außerdem gehe unter den Menschen die Angst um „wenn ich nicht ver­füg­bar bin, dann ist es ein ande­rer“, was ihnen die Zeit raube, sich poli­tisch zu betei­li­gen. Die aktu­el­len Probleme des Ehrenamts, enga­gierte Helfer zu fin­den, schei­nen nur ein Indikator zu sein, der dies bestä­tigt. „Wir müs­sen wie­der klare Grenzen zwi­schen Arbeits- und Freizeit auf­zei­gen“, sagte ein Teilnehmer. Da Experte Wolfgang Merkel daran erin­nerte, dass die Wahlbeteiligung höher ist, wenn Parteien ihre Programme schär­fen, grif­fen die Teilnehmer auch dies als einen Ansatz auf, den Gewerkschaften wie­der zu mehr Mitgliedern zu verhelfen.

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Ein Gedanke zu “Wie viel Ungleichheit verträgt die Demokratie?

  1. Auch wenn der Kommunismus nicht die Lösung ist: Schade, dass er als alter­na­ti­ves Gesellschaftsmodell weg­ge­fal­len ist. Solange die (meist west­li­chen) Großkapitalisten diese Alternative fürch­ten muß­ten, solange hat der Kapitalismus nicht frei wal­ten kön­nen (Raubtierkapitalismus). Man mußte als "Reicher" mit einer gemä­ßig­ten Form, der sozia­len Marktwirtschaft, zufrie­den sein und der arbei­ten­den Masse einen wach­sen­den Anteil am Wohlstand zubil­li­gen. Das ist nun vor­bei. Ob Sozialleistungen, Arbeitnehmerrechte, Löhne, Mieten etc. - alle Errungenschaften der sozia­len Marktwirtschaft ver­sucht man nun wie­der zu besei­ti­gen. Und nennt das noch "neue soziale Marktwirtschaft"! Das ist doch wohl der Hohn! Asozial ist der rich­tige Begriff! Umstürze und Revolutionen gab es immer dann, wenn die Massen hun­ger­ten oder die Mittelschicht keine Aufstiegschance hatte. Beide Zustände sind bald erreicht - in Südeuropa begin­nen die Menschen sich zu weh­ren. Wie heißt es so schön: "WENN RECHT ZU UNRECHT WIRD, WIRD WIDERSTAND ZUR PFLICHT!" Aber das Fernsehen zeigt der Unterschicht ein­fach Leute, die noch tie­fer ste­hen - und schon zer­reißt sich der "gute" Deutsche den Mund. Anstatt zu mer­ken, wie er mani­pu­liert und von der Politik ver­arscht wird. Es wird Zeit, dass jemand die­sen Augiasstall ausmistet!